Die natürliche Lichtverschmutzung
Die Sonne geht nie ganz unter, man verliert total das Zeitgefühl. Um Mitternacht ist es auch nicht wirklich dunkel, um 4 Uhr ist es ziemlich hell - der Spielraum ohne Lichteinfluss zu schlafen minimiert sich für mich zusehends je weiter nördlich wir uns begeben. Thank god ist die Augenmaske mein ständiger Reisebegleiter (genauso wie Ohropax!), denn von Vorhängen oder Jalousien halten die Balten offensichtlich nicht viel. Entweder es gibt keine, oder sie sind lichtdurchlässig.
Grenznaher Ausflug zu besagtem Land
Wir torkeln also in der Früh an die russische Grenze zur Hermannsburg, wo der Parkplatz laut Ausschreibung kostenspielig ist, aber der Parkomat kein Geld annehmen möchte. Solche Gratisparkinger kamen schon öfter vor; ist nice, da kann man das Geld für andere Dinge ausgeben.
Für die Aussicht auf die Russen - näher geht's nimma - musste der Höhepunkt des Castles bezwungen werden. Sport des Tages war somit in den Morgenstunden erledigt.
Als wir den russischen Grenzposten (und die Burg) reichlich abfotografiert hatten, wartete der Wasserfall mitsamt Steilküste in ValasteValaste auf unseren Besuch. Meine Höhenangst machte mir aber einen Strich durch die Rechnung, sie wollte sich partout nicht über die Lochgittertreppe wagen. Statt Natur gab's Café und die platt gelaufenen Füße gönnten sich ein Päuschen in der Sonne.
Almessen 2.0 & Seefahrtsgeschichte kompakt
Das Päuschen für die Äugchen folgte in Altja: Findlinge (einzeln liegende sehr große Steine, die während der Eiszeiten durch Gletscher transportiert wurden) wohin die Sehweite reicht - verstreut im Meer sowie links und rechts auf dem idyllischen Weg, die Sonne im Gesicht oder im Rücken, das Fotogerät quasi im Dauereinsatz.
Beim Rückweg stand eine estnische Almhütte mitten im Weg und wir konnten nicht anders als einkehren. Was das Menü hergab: 1x Salat mit Beeren und knuspriges Hühnchen für die Pat, 1x Fischsuppe für Barb, geräucherter Lachssalat für Rea. Sie musste ihr Essen gegenüber einer suizidalen und dauergestressten Flugameise verteidigen, die bereits in frecher Manier die Lachsbeute abtransportierte.
Ein rustikales Holztöpfchen mit Butter in Salzlake und schwarzes Brot für alle. So schaut Almessen im Jahr 2023 aus.
Diese Stärkung verlieh neue Kraft für das Kapitänsdorf Käsmu. Wald, Schilf, Findlinge, Lahemaa Nationalpark - aber das eigentliche Highlight war das privat geführte Seefahrtsmuseum - aufgebaut in dem Haus des Besitzers, wo er mit den musealen Gegenständen und seiner Frau (diese Reihenfolge trifft die Realität ziemlich gut denke ich) lebt. Eine sehr kurios aber liebevoll zusammengestellte Sammlung. Prädikat: sehenswert.
Die Autobahn nach Tallinn hat's auch in sich. Kreuzungen (!) zieren die Schnellstraßen - grad, dass sie sich keinen Kreisverkehr einfallen haben lassen, der hätte noch gefehlt.
E-stonia
In Tallinn führte uns ein Guide durch die Stadtgeschichte, Straßen und Gässchen - die free Walking Tours, die einen am Ende ein Trinkgeld kosten, werden meist von Locals organisiert, sind amüsant und bringen eine andere Perspektive.
Das unterirdische Tunnelsystem beim Kanonenturm Kiek in de Kök kühlte uns ziemlich ab, wobei wir ja gar nicht jammern dürfen - von den Höllentemperaturen, die dem restlichen Europa zu schaffen machen, sind wir hier weit entfernt.
Estland ist das Land der Digitalisierung. Alles wird online erledigt. ALLES. Und das mit Gottes Segen: Sogar in den Gebetsreihen einer Kirche sind Steckdosen und USB-Anschlüsse angebracht.
Die digitale Übertreibung gibt's auch: Den Pfand auf die Plastikbecher beim Festival hätten wir nur zurückerhalten, wenn wir
* den QR Code am Becher gescannt,
* uns auf der dazupassenden online Plattform angemeldet,
* den QR auf der Mülltonne gescannt,
* unser Bankkonto angegeben,
* ein paar Tage gewartet hätten, bis das Recyclingzentrum seine Arbeit mit den Bechern finalisiert hätte.
Wir pfeifen auf den digitalen Pfand und sagen für ein paar Stunden "Tschüss, E-stonia, hello Helsinki!"
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