Ab in den Norden

Kommt Zeit, kommt ein Taxi

2x war ich jetzt Mario besuchen. In seiner neuen Bleibe in Okahandja. Nichts geht über das Transportmittel Buschtaxis. Immer unzuverlässig, immer langwierig, immer abenteuerreich. Zeit, Nerven und Geduld braucht man, sonst braucht man sich auf ein solches Vorhaben gar nicht erst einlassen.

Vor meinem ersten Gastspiel im Township in Okahandja, hat er sich für die Organisation der Taxifahrt mega ins Zeug gelegt, war im Vorfeld mit dem Fahrer in Kontakt, hatte ihm eingeschärft, mich pünktlich abzuholen, bla bla. Natürlich war es so, dass dieser Buschtaxiexperte nie vor meiner Haustüre auftauchte. Da saß ich einsam und verlassen vor meinem morgendlichen Müslibecher mit dem Handy in der Hand wartend auf die Eingebung für einen Lösungsansatz, nachdem der Taxityp am anderen Ende erklärte, er sei bereits in Okahandja. Ja geil. Schön für ihn. Und ich war immer noch in Windhoek.

Die Luxus- vs. (semi luxuriöse) Buschtaxivariante

Plan B: Über Umwege ein Stadttaxi organisieren, das dieses Fleckchen Erde eigentlich nicht verlassen dürfte. Solange du bereit bist, alle nicht besetzten Plätze des Autos selbst zu bezahlen, damit du quasi im Privatshuttle in den Norden chauffiert wirst, tun die meisten Fahrer alles. Geld zieht immer. Vor der Stadtgrenze werden am Pannenstreifen die großen Taxikennzahlen (links, rechts, hinten) mit einem Panzertape ausgekreuzt, was bei der Kontrolle so viel bedeutet wie "Ich bin als Normalotaxi unterwegs." Funktioniert halt nicht mit jedem Behördenkontrollhansl. Auch wir standen dann erst mal 30 Minuten erklärend am Betonrand, um die grantige Polizistin von unserer halblegalen Stadtflucht zu überzeugen.

Es geht auch anders: Privattaxi organisieren, sich zu Hause abholen lassen, am Taxistand warten bis die restlichen Plätze mit Mitfahrern gefüllt sind. Umgeben von regem Treiben und hektischer Sucherei seitens der Taxifahrer, um die freien Plätze an den Mann zu bringen, ist man mittendrin im Chaos. Wenn man viel Glück hat, ist die Karre im Schatten geparkt und die Warterei zieht sich nicht Stunden in die Länge. An solchen Plätzen wuselt es von Menschen; meistens braucht es keine Minute, um neue Freunde zu finden. Da war beispielsweise Michael, der sich nach Bewunderung meines vermeintlichen Eheringes veranlasst fühlte, mir einen Plan mit auf den Weg zu geben, damit ich später meine Arbeitserlaubnis in Namibia bekomme: "Zuerst fliegst du zurück nach Australia (logisch), erfindest eine üble Geschichte, die deinen Mann veranlasst, sich von dir scheiden zu lassen, kommst dann nach Namibia, rufst mich an - hier ist meine Nummer (abgespeichert unter: the guy who wants to marry me) - und wir heiraten." Aufenthaltsgenehmigung: check.

 

Empfangen von vielen Händen

1x umsteigen, weil das Windhoeker Stadttaxi fährt nicht ins Township von Okahandja rein. Das mach ich alleine natürlich auch nicht, bin nicht suizidgefährdet. Mario, Freund und Bodyguard zugleich, würde das soundso nicht zulassen: "Monica would kill me if something happened to you." Gemeinsam sitzen wir wenige Minuten später bei seiner Stiefmutter und seinem Stiefvater im Vorgarten. Plastikplanen schützen uns vor einem Hitzschlag. Brutal heiß ist es trotzdem. Ich war bei beiden Besuchen die Attraktion des Tages. Verständlicherweise. Die einzige Weiße weit und breit, stundenlang händeschüttelnd im Vorgarten, weil mich die gesamte Nachbarschaft kennenlernen und wissen wollte, was so mein Verhältnis zu Mario ist. Alles, was ich auf Englisch sagte, wurde zumindest in 3 weitere Sprachen übersetzt. Die meisten Leute waren Damara/Nama (Klick-Klick!). Größtes Amüsement bin ich für alle Anwesenden, sobald sie mich Wörter nachsprechen lassen, bei welchen meine Zunge nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, und halb im Rachen verschwindet, weil diese sich konstant auf Klicks konzentriert, die zwischen den unmöglichsten Buchstaben platziert werden müssen (amuse gueule ^^).

 

Okahandja
Erfahrungen im Township Okahandja

Während man sich unterhält, legen sich mit Zecken übersähte Hunde zu uns, Babys werden an die Brust gelegt und im Wäschewasser, eines nach dem anderen, gebadet, bevor dieses in Blumentrögen entsorgt wird. Der Fernseher hallt aus einer Wellblechhütte, USB Sticks werden von Nachbarn vorbeigebracht, sie hätten diese gerne mit Musik bespielt (sie zahlen für diesen Service). Mir wird der beste Plastikstuhl geboten, die Rückenlehne dreifach genäht, damit sie einer Person standhält. Mir wird eine Schüssel Wasser gebracht, damit ich meine vom Staub bedeckten Füße darin baden und abkühlen kann. Bin ich fertig, geht die Schüssel die Runde, damit jeder was davon hat und am Ende wird der angesaute Hintern eines Babies darin gewaschen.

In jedem Haushalt, egal welcher Gesellschaftsschicht, wird mit dem Gast alles geteilt, was vorhanden ist. Selbst wenn das Geld knapp ist. Was anderes habe ich noch nie erlebt. Wenn es aber nichts zu teilen gibt, weiß man, wie es um die Finanzen an dem Tag steht. Nach all diesen Stunden in der Hitze war ich wirklich einem Koller nahe, hatte irrsinnigen Hunger und Durst. Mit Mario gemeinsam ging ich auf Essenssuche. Die stellte sich als etwas kompliziert heraus, da am späten Nachmittag kein Mittagessen mehr aufzutreiben und das Abendessen noch nirgends fertig gekocht war. Fündig wurden wir in einem sehr einfachen Tante-Emma-Laden mitten im Township von Okahandja platziert, der uns Toastbrot, kalte Essig-Pommes vom Mittag und eine riesen Flasche Cola bot. Happy mit dieser Errungenschaft ging es zurück zum Haus. Die Brotscheiben wurden mit den Fritten dekoriert und so gegessen. In kürzester Zeit war das Mahl verzehrt, die Cola hinuntergespült. Kinder, Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen... sprich alle Familienmitglieder haben sich um dieses Festessen gerissen, fast gestritten. Ein Mädchen hatte sich aus Angst, ihr Cousin könnte ihr das restliche Brot wegessen, kurzerhand die ganze Scheibe in den Mund gesteckt, damit diese von einem Diebstahl sicher war. Es sind Szenen, die man nie vergisst - egal, wie oft man Zeuge ist. Mario erklärte mir beim Nachhausegehen, dass Monate vergangen waren, seit Brot im Haus war.

 

Der Zauber im Township

Nach wie vor ist es für mich eine Faszination, wie in einer von mir als Tristesse aufgefassten Situation (und zwar auf allen Ebenen) die Menschen ihre Freundlichkeit sowie ihre Bereitschaft (mit teils wildfremden Personen) zu teilen und ihre Neugier bzw. Freude an Neuem, ja an den kleinsten Kleinigkeiten, nie zu verlieren scheinen. Der Zauber bewahrheitet sich kontinuierlich in den kleinen, meist zufälligen, Begegnungen: Eine alte Damara Dame, die wegen ihrer kranken Beine am Bett in ihrer Hütte liegt. Wir beginnen mit Small Talk, auf Afrikaans wohlgemerkt, als sie mir plötzlich in einem akzentfreien Deutsch antwortet und über das ganze Gesicht strahlt, weil sie endlich jemand hat, mit dem sie die Sprache üben kann. Eine Straßenköchin, bei welcher wir Kapana (Fleisch) und Vetcakes konsumiert haben, freut sich irrsinnig darüber, dass ich das von ihr zubereitete Mittagsessen nicht nur kaufe, sondern auch in den höchsten Tönen lobe. Ein Taxifahrer, der mir voller Stolz sein Zweitauto beim Vorbeifahren zeigt und dabei auf einen Spruch verweist, der überall an seinen wenigen Habseligkeiten angebracht ist: "Simple, but not easy".

#LifeIsAnAdventure

Okahandja Township